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Urteilsbesprechung des Urteils Nr. 329/2025 der Ersten Zivilkammer des spanischen Tribunal Supremo

  • Autorenbild: Saskia Porta, LL.M.
    Saskia Porta, LL.M.
  • 19. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

I. Einleitung

Im Zentrum des Urteils Nr. 329/2025 vom 4. März 2025 der Sala Primera de lo Civil des Tribunal Supremo steht die Anwendung der zivilrechtlichen Doktrin des gegenseitigen Einvernehmens bei Vertragsaufhebung im Kontext eines komplexen, grenzüberschreitenden Vertrags über den Verkauf eines Photovoltaikparks in Brasilien. Konkret ging es um die Frage, ob ein Vertrag über den Verkauf von Gesellschaftsanteilen, deren wirtschaftlicher Sinn in der Übertragung bestimmter projektbezogener Rechte liegt, auch dann rückabgewickelt werden kann, wenn beide Parteien zu seinem Scheitern beigetragen haben – und wie sich dies auf etwaige Rückzahlungs- oder Schadensersatzansprüche auswirkt. Der Fall wirft grundlegende Fragen zur dogmatischen Einordnung vertraglicher Leistungsstörungen und zur Anwendung analoger Vorschriften bei Auflösung eines Vertrages durch beidseitiges Verschulden auf.

II. Die Entscheidung

1. Angaben über das Urteil

Das Urteil erging am 4. März 2025 durch die Erste Zivilkammer des spanischen Obersten Gerichtshofs im Verfahren mit dem Aktenzeichen Recurso de casación núm. 4793/2020. Berichterstatter war Rafael Sarazá Jimena. Das Urteil ist unter der Roj-Nummer STS 835/2025, ECLI:ES:TS:2025:835 und Cendoj: 28079110012025100324 veröffentlicht. Die Kassationsbeschwerde wurde von der Sunpremier 2100 S.L. gegen das Urteil des Audiencia Provincial de Valencia (Urteil Nr. 374/2020 vom 29. Juli) eingelegt und letztlich abgewiesen.

2. Sachverhalt

Dem Urteil liegt ein Vertrag zugrunde, der am 27. Dezember 2013 zwischen Prosolia Portugal Lda (Käuferin) und der brasilianischen Sun Premier Holding de Participações Limitada abgeschlossen wurde. Gegenstand war ein Aktienkauf, durch den die Prosolia indirekt Rechte an einem geplanten Photovoltaikpark in Brasilien erwerben sollte. Die verkaufende Gesellschaft verpflichtete sich, die für Bau und Betrieb der Anlage notwendigen Genehmigungen einzuholen und diese – durch Übertragung der Anteile an einer Zweckgesellschaft (ForçaVerde Geração Pernambuco Energia Elétrica Ltda) – auf Prosolia zu übertragen. Als Teilzahlung leistete Prosolia eine erste Tranche von 120.000,00 Euro an Sunpremier 2100 S.L., ein mit der Verkäuferin verbundenes Unternehmen.

Das Projekt scheiterte jedoch, weil die erforderlichen Genehmigungen nicht erteilt wurden. Dies führte zur Klage durch Prosolia auf Vertragsauflösung, Rückzahlung des gezahlten Betrags und Ersatz weiterer Aufwendungen.

3. Prozessgeschichte

Prosolia Portugal, Lda reichte am 25. Januar 2018 Klage vor dem Juzgado de Primera Instancia n.º 15 de Valencia gegen die Gesellschaften Sun Premier Holding de Participações Ltda und Sunpremier 2100 S.L. ein. Sie beantragte:

1. Feststellung der Vertragsaufhebung des Vertrags vom 27. Dezember 2013 über den Erwerb der Beteiligung an der Gesellschaft ForçaVerde Geração Pernambuco Energia Elétrica Ltda., da das Projekt infolge fehlender Genehmigungen nicht realisiert werden konnte und damit der Vertragszweck verfehlt wurde.

2. Rückzahlung der im Rahmen des Vertrags geleisteten Zahlung in Höhe von 120.000,00 Euro durch Sunpremier 2100 S.L.

3. Zahlung eines weiteren Betrags in Höhe von 67.638,98 Euro, den Prosolia für die Deckung von Kosten im Zusammenhang mit dem Photovoltaikprojekt aufgewendet hatte (darunter fielen insbesondere Reisen, Beratungsleistungen und Dokumentationsaufwand).

4. Darüber hinaus beantragte Prosolia die Verurteilung der beiden beklagten Gesellschaften zur Gesamtkosten- und Zinsentragung sowie zur Übernahme der Prozesskosten.

Das Ersturteil (Urteil des Juzgado de Primera Instancia Nr. 15, Valencia vom 3. Juni 2019) entschied zugunsten einer teilweisen Vertragsaufhebung, gestand Prosolia jedoch nur die Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 120.000,00 Euro durch Sunpremier 2100 S.L. zu. Die zusätzlichen 67.638,98 Euro wurden nicht zugesprochen, da das Gericht keine zurechenbare Verantwortlichkeit für diesen Betrag feststellen konnte. Eine Verurteilung zur Zahlung durch Sun Premier Holding de Participações Ltda erfolgte nicht, da deren Passivlegitimation in Zweifel gezogen wurde. Die Klage wurde dieser gegenüber abgewiesen.

Gegen dieses Urteil legten sowohl Prosolia (als Berufungsklägerin hinsichtlich der abgewiesenen Ansprüche) als auch Sunpremier 2100 S.L. (hinsichtlich der Verurteilung zur Rückzahlung der 120.000 Euro) Berufung zum Audiencia Provincial de Valencia ein. Das Berufungsurteil des Audiencia Provincial de Valencia, Sektion 6, wurde am 29. Juli 2020 unter dem Aktenzeichen Sentencia n.º 374/2020 erlassen.

Das Berufungsgericht modifizierte das erstinstanzliche Urteil in mehreren Punkten:

• Es erkannte an, dass beide Parteien zum Scheitern des Projekts beigetragen hätten, und sah dies als konkludentes gegenseitiges Einvernehmen zur Vertragsaufhebung an.

• Es sprach Prosolia einen Schadensersatz in Höhe von 60.000,00 Euro gegen Sunpremier 2100 S.L. und Sun Premier Holding de Participações Ltda zu, wobei es die Haftung beider als solidarisch (gesamtschuldnerisch) qualifizierte.

• Die Berufung von Prosolia wurde im Übrigen zurückgewiesen, insbesondere hinsichtlich der vollen Forderung über 67.638,98 Euro.

• Die Rückzahlung der 120.000,00 Euro wurde nicht gesondert ausgesprochen, da das Berufungsgericht die Zahlung von 60.000,00 Euro als Kompensation für beide Ansprüche (Rückzahlung + Aufwendungen) ansah.

Gegen dieses Berufungsurteil legte allein Sunpremier 2100 S.L. Kassationsbeschwerde (recurso de casación) beim Tribunal Supremo ein, die am 4. März 2025 mit Urteil Nr. 329/2025 von der Ersten Zivilkammer (Sala Primera de lo Civil) abgewiesen wurde. Die Klägerin Prosolia selbst legte keine Kassation ein.

4. Rechtsproblem

Kernproblem des Falls war die Frage nach der Rechtsfolge bei beiderseitigem vertragswidrigem Verhalten, was zum Scheitern des Projekts führte. Insbesondere stand zur Debatte, ob eine solche Konstellation – in der beide Parteien durch Pflichtverletzungen zur Undurchführbarkeit eines Vertrages beitragen – eine Vertragsauflösung „im gegenseitigen Einvernehmen“ darstellt, welche eine Rückgewähr bereits erbrachter Leistungen und gleichzeitig den Ausschluss wechselseitiger Schadensersatzansprüche rechtfertigt. Darüber hinaus stellte sich die dogmatische Frage, ob in Ermangelung spezifischer Vorschriften für solche Fälle eine analoge Anwendung der Regelungen zur Rückabwicklung bei Nichtigkeit (§ 1303 Código Civil) zulässig ist.

5. Lösung des Gerichts

Der Oberste Gerichtshof wies die Kassationsbeschwerde zurück. Er bestätigte die Auflösung des Vertrages durch konkludentes gegenseitiges Einvernehmen aufgrund der beiderseitigen Pflichtverletzung. Damit seien die wechselseitigen Leistungen rückabzuwickeln – in diesem Fall sei die Hälfte des ursprünglich gezahlten Kaufpreises an Prosolia zurückzuerstatten. Schadensersatzansprüche wurden ausgeschlossen, da kein überwiegendes Verschulden einer Partei festgestellt werden konnte.

Die Kammer stützte sich dabei maßgeblich auf ihre eigene Rechtsprechung zur Gleichstellung beiderseitiger Vertragsverletzungen mit einer einvernehmlichen Auflösung (u.a. Urteile STS 404/2002, STS 605/2010 und STS 566/2022). Darüber hinaus bestätigte sie, dass die Rückgewähr bereits erbrachter Leistungen auf der Grundlage einer analogen Anwendung von Art. 1303 CC (Rückabwicklung bei Nichtigkeit) auch bei Vertragsauflösungen nach Art. 1124 CC zulässig sei, wenn keine explizite gesetzliche Regelung existiert.

III. Analyse

1. Lösungsansätze zum Problem

In der Literatur und Rechtsprechung bestehen unterschiedliche Ansätze zur rechtlichen Behandlung der Vertragsauflösung bei beidseitigem vertragswidrigem Verhalten. Ein Teil der Lehre geht davon aus, dass in diesen Fällen weder Rücktritt noch Auflösung in Betracht kommt, sondern dass jede Partei die durch die Vertragsverletzung verursachten Schäden selbst zu tragen habe (Selbstverantwortungsprinzip). Andere vertreten die Auffassung, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Auflösung durch konkludentes gegenseitiges Einvernehmen anzunehmen sei, die dann eine analoge Anwendung der Regeln über Rückabwicklung rechtfertigt.

Das Tribunal Supremo folgt mit dem vorliegenden Urteil konsequent seiner bisherigen Rechtsprechung und entwickelt diese fort, indem es – losgelöst von einer förmlichen Vereinbarung – die gemeinsame Verantwortung beider Parteien als stillschweigende Zustimmung zur Auflösung des Vertrags wertet.

2. Analyse und Einordnung der Entscheidung


Das Urteil stärkt die vertragstheoretische Konzeption, nach der nicht nur der Text eines Vertrages, sondern auch das Verhalten der Parteien bei der Vertragsdurchführung entscheidend ist. Das Gericht vermeidet dabei eine dogmatische Lücke, indem es die Regelungen zur Rückabwicklung bei Nichtigkeit als systematisch vergleichbare Vorschrift heranzieht. Bemerkenswert ist zudem, dass das Gericht ausdrücklich auch ökonomische Überlegungen berücksichtigt, indem es anmerkt, dass Prosolia keine Berufung eingelegt habe, da sich dies ökonomisch aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten nicht gelohnt hätte – ein seltener Blick auf die prozessökonomische Realität.

a) Anwendbarkeit des spanischen Rechts


Im Urteil selbst findet sich keine ausführliche Begründung zur Rechtswahl, doch lässt sich aus dem Sachverhalt ableiten, dass die Anwendung spanischen Rechts zumindest konkludent akzeptiert wurde. Der Vertrag wurde zwar zwischen einer portugiesischen und einer brasilianischen Gesellschaft mit Bezug zu einem Projekt in Brasilien geschlossen, jedoch wurde die Klage vor spanischen Gerichten erhoben, und sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch die Berufungsinstanz sowie das Tribunal Supremo wendeten durchgehend spanisches Vertragsrecht an – insbesondere die Artikel 1124 und 1303 des spanischen Código Civil. Eine explizite Prüfung des internationalen Privatrechts (z.B. im Sinne der Rom-I-Verordnung) wurde nicht dokumentiert. Die Gerichte haben nicht klarer dargelegt, weshalb spanisches Recht Anwendung findet, etwa gestützt auf eine Rechtswahlklausel, auf eine stillschweigende Einigung der Parteien oder auf die engste Verknüpfung.


b) Internationale Zuständigkeit


Auch zur internationalen Zuständigkeit äußerten sich die spanischen Gerichte nicht ausdrücklich. Der Umstand, dass die Klage vor einem Gericht in Valencia erhoben wurde und von allen Instanzen in der Sache entschieden wurde, legt nahe, dass zumindest keine Einwendungen gegen die Zuständigkeit erhoben wurden. Gleichwohl hätte eine explizite Begründung – etwa unter Verweis auf Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (Zuständigkeit am Erfüllungsort), auf eine Gerichtsstandvereinbarung oder auf den Wohnsitz der beklagten Sunpremier 2100 S.L. in Spanien – zur Rechtssicherheit beigetragen.

3. Bewertung und Kritik der Entscheidung

Die Entscheidung überzeugt im Ergebnis, insbesondere im Hinblick auf die gerechte Risikoverteilung in einer Situation, in der beide Parteien zum Vertragsversagen beigetragen haben. Kritisch könnte man jedoch hinterfragen, ob die Rückführung der gegenseitigen Rückgewährung auf Art. 1303 CC nicht zu einer dogmatischen Unschärfe führt. Eine klarere gesetzliche Regelung für solche Konstellationen wäre wünschenswert. Auch hätte eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage erfolgen können, ob eine nachträgliche faktische Gleichstellung von Verschulden durch das Gericht immer sachgerecht ist.

4. Eigener Lösungsvorschlag

Ein alternativer Ansatz könnte darin bestehen, die Vertragsaufhebung nicht automatisch als konkludentes Einvernehmen zu deuten, sondern stärker die individuelle Verantwortung der Parteien zu analysieren. Falls eine exakte Gewichtung nicht möglich ist, könnte eine Rückabwicklung nach Bereicherungsgesichtspunkten (analog §§ 1895 ff. BGB / §§ 1303 CC) mit Abzügen für mitverursachte Risiken erfolgen.

5. Ausblick

Die Entscheidung ist für die Zukunft wegweisend im Hinblick auf grenzüberschreitende Unternehmenskäufe im Bereich der grünen Wirtschaft, die häufig komplexe Genehmigungsanforderungen und hohe Investitionsrisiken beinhalten. Sie bestätigt, dass auch bei sogenannten „Share Deals“ (Kauf der Pralinenschachtel) die zivilrechtlichen Grundsätze der Vertragsrückabwicklung Anwendung finden – auch wenn diese Konstellationen strukturell eher unternehmerischen Transaktionen zugeordnet werden. Für künftige Verträge empfiehlt sich, klare Regelungen über Rücktrittsrechte, Haftungsverteilung und Rückabwicklungsklauseln für den Fall des Scheiterns aufzunehmen.

IV. Schluss

Das Urteil 329/2025 des spanischen Tribunal Supremo verdeutlicht, wie das Zivilrecht mit komplexen unternehmerischen Realitäten und gleichzeitiger Verantwortung beider Parteien für das Scheitern eines Vertragsprojekts umgehen kann. Durch die analoge Anwendung etablierter Rückabwicklungsnormen und unter Berücksichtigung praktischer sowie ökonomischer Überlegungen gelangt das Gericht zu einer sachgerechten Lösung, die auch über die Grenzen Spaniens hinaus Beachtung finden dürfte. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung differenzierter Vertragsgestaltung bei grenzüberschreitenden Infrastrukturprojekten in dynamischen Zukunftsbranchen wie der grünen Energie.

 
 
 

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